Macht die Krise glücklich?

Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht hat sie uns ein paar Dinge nochmal deutlich vor Augen geführt:
Geld macht nicht glücklich, es sei denn, ich kann dadurch meine Versorgung mit Lebensmitteln sicherstellen. Doch dieses Problem haben von uns ja ein Glück die wenigsten.
Was mich, aber auch viele Menschen in meinem Umfeld, wirklich glücklich macht, sind frei verfügbare Zeit und die Möglichkeit, Sachen „zu schaffen“. Aber der Reihe nach:

Für viele von uns war und ist die Corona-Zeit mit eigentlich eher unangenehmen Begleitumständen wie Kurzarbeit, Kontaktverbot, Ausgangssperre etc. verbunden. Aber auch mit dem Luxus von viel, viel Freizeit. Viele von uns hatten so viel Zeit, wie seit Jahren nicht mehr. Und was haben wir mit dieser Zeit nicht alles Großartiges anfangen können. Zumindest bei mir Dinge, die ich sonst nie gemacht hätte bzw. die ich im Laufe der Jahre vernachlässigt habe.

Als noch nicht klar war, wie lange diese eigenartige Zeit dauert, habe ich mit kleinen Projekten begonnen: Garage aufräumen und entschimmeln, Gartenschuppen aufräumen, Autoreifen wechseln, Zaun streichen…Je länger dieser Zustand dauerte, desto umfangreicher wurden dann die Projekte: Balkon „abreißen“, neuen Zaun bauen und malen, Gerüst mieten, aufbauen und in 8m Höhe Holzüberstände malen, Haussockel streichen, Wege ums Haus vom Unkraut befreien (alle Seine hochnehmen, neues Vlies verlegen), mehrere Tonnen Kiessteine von Hand sieben…Dazu sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich von Haus aus der personifizierte Anti-Handwerker bin. In meinem Elternhaus musste ich so etwas nie machen, was ich damals sehr angenehm fand, doch daher fehlt mir da jede Erfahrung, die ich jetzt mit zwei linken Händen voller Daumen nachholen darf.

Doch zurück zur freien Zeit. Auch als Familie haben wir Dinge gemacht an denen wir früher viel Spaß hatten: Siedler von Catan spielen (nach diversen Streitigkeiten gibt es jetzt bei uns den Ethik-Hasen, der besänftigen soll), die Wii, PS2 und Xbox 360 reaktivieren, das war richtig nostalgisch. Durch das Zusammenspiel von Familienspaß und harter körperlicher Arbeit verging jeder Tag wie im Flug.

Doch auch in „normalen“ Zeiten ist für die wichtigen Dinge, welche das auch immer für jeden einzelnen sind, genug Zeit da. Das Argument, das wir ja alle immer gerne nutzen, „ich habe dafür jetzt keine Zeit“ ist immer falsch. Wir haben ja jeden Tag 24 Stunden zur Verfügung, d.h. wenn etwas ganz besonders wichtig ist und wir das mit einer hohen Priorität verfolgen, ist immer Zeit da. Dieses Argument nutzen wir ehrlicherweise immer gerne, wenn wir zu etwas nicht so viel Lust haben. Wenn wir keine Lust haben, noch eine Einladung einzunehmen, haben wir dafür „leider keine Zeit“. In Wahrheit ist uns die Einladung nur nicht wichtig genug, weil wir andere Dinge machen, die für uns wichtiger sind. Und eine Absage mit den Worten „Sorry, ist mir halt nicht wichtig genug“ klingt natürlich nicht so toll, aber für uns selbst sollten wir schon klären, was uns wirklich am Herzen liegt.

Ich bin da keine Ausnahme. Eigentlich möchte ich meinen Glücksblog einigermaßen regelmäßig schreiben, doch die Vielzahl und Intensität meiner Haus- und Gartenprojekte hat mich andere Prioritäten setzen lassen. Und weil ich diese Entscheidung bewusst so getroffen habe, ist das auch völlig in Ordnung für mich. An zu wenig Zeit lag es jedenfalls nicht, achtet mal drauf, wie das bei euch so ist.

Der zweite Glücklichmacher ist die eigene Schaffenskraft. Auch hier bin ich wie immer mein eigenes Versuchskaninchen, das (Achtung, famoses Wortspiel😉) zu seinen eigenen Wurzeln zurückkehrt.
Als ich vor fünf Jahren beschlossen habe, mich aus dem Agenturgeschäft zurückzuziehen, gab es dafür trotz großartiger Kollegen und einem sehr abwechslungsreichen Tagesgeschäft zwei Hauptgründe:

Erstens ist die Kunde-Agentur-Beziehung teilweise so oberflächlich und respektlos geworden, dass mir meine Zeit für nutzlose Diskussionen mit besserwissenden Uniabsolventen/innen immer häufiger zu schade wurde (wobei wir auch viele wirklich nette Kunden hatten!).
Zweitens empfand ich das Agenturgeschäft nach ca. 15 Jahren nicht mehr als sinnstiftend. Klar, Agenturen nehmen in unserem Wirtschaftskreislauf eine wichtige Funktion ein, aber ob eine Website oder ein Flyer für Produkt XY jetzt ein bisschen hübscher oder besser geworden ist, hat vermutlich weder in meinem Leben noch in irgendeinem anderen Leben etwas zum Positiven verändert. Das fand ich zunehmend schade. Da wäre ich gern Tischler gewesen, wobei wir aber wieder beim Thema talentloser Handwerker ohne Erfahrung wären. Zumindest in meiner Vorstellung stellt ein Tischler ein schönes Produkt her, über das sich irgendjemand freut, was ich bei einer Broschüre bezweifele.

Das durfte ich jetzt mit der vielen Zeit und ein Glück offenen Baumärkten und Recyclinghöfen intensiv nachholen. Ich muss sagen, nach jedem abgeschlossenen Projekt habe ich eine tiefe innere Zufriedenheit gespürt. Ich war stolz auf das Geschaffte und zufrieden mit mir. Natürlich genügt das meiste nicht den Qualitätsansprüchen von Profis oder Heimwerkerfreaks. Aber im Rahmen meiner Möglichkeiten bin ich glücklich und dankbar für die Dinge, dich ich alleine oder gemeinsam mit meiner Familie geschafft habe. So ist es übrigens auch im Berufsleben. Glücklich macht nicht das verdiente Geld, sondern eine Aufgabe mit der ich mich identifizieren kann im Zusammenspiel mit sozialem Austausch. Also schlägt auch hier wieder etwas Sinnvolles mit netten Menschen tun die nächste Gehaltserhöhung gegen den alltäglichen Jobfrust.

Das klingt natürlich alles wieder wunderbar und einem Glückcoach scheint vermutlich ohnehin jeden Tag die Sonne aus dem Hintern. Das wäre sehr schön, ist aber nicht so. Auch bei mir gehen Dinge schief und klappen Sachen nicht. Die Frage ist dann, wie man damit umgeht.

Kurz vor der Fertigstellung meines größten Malprojektes, als ich eigentlich schon fast fertig war, bin ich unglücklicherweise beim Leitertragen auf unserer Eingangstreppe umgeknickt. Der Schmerz war wirklich besonders. Das Außenband ist wohl durch und der Bluterguss von der Mitte der Wade bis in die Zehen sind seit über zwei Wochen ein schönes Andenken. Doch wenn ich das in die richtige Beziehung setzte ist alles nur halb so wild. Was hätte mir alles auf der Leiter und dem Gerüst passieren können? Welche Einschränkungen muss derzeit die sog. Risikogruppe hinnehmen? Wie viele Leute gibt es, die wirklich krank sind? Das ist mir doch im Vergleich fast nichts passiert, auch wenn ich auf diesen Selbstversuch gern verzichtet hätte. Ich sollte nächstes Mal vielleicht einfach ein bisschen achtsamer sein.

In diesem Sinne, passt auf euch auf und bleibt gesund.

P.s.: Und was hatten wir alle für ein Glück mit dem Wetter! Bei sechs Wochen Dauerregen wäre mein Beitrag vielleicht ein bisschen depressiver ausgefallen.

Sven Bauer1 Comment