Wasalauf zum Glück
Ich probiere meine Glückempfehlungen ja immer selbst aus, denn ich möchte ja nichts empfehlen, was ich nicht selbst positiv erlebt habe. Mit der Anmeldung zum Wasalauf (Vasaloppet) habe ich viele Glückprinzipien gleichzeitig herausgefordert und genutzt. Das Ergebnis ist eines der spannendsten Erlebnisse, die ich bisher machen durfte. Zusätzlich durfte ich einen Baustein des Glücksprinzips „Glückspilze sind offen für neue Erfahrungen“ in Vollendung ausprobieren. Aber der Reihe nach.
Eigentlich wollte ich schon seit vielen Jahren mit ein oder mehreren Freunden bei der Vätternrundfahrt in Schweden mitmachen. Das ist ein mittlerweile 315km langes Radrennen in Schweden. Ich habe auch zweimal versucht, an Startplätze zu kommen, aber leider war diese Rundfahrt immer sofort ausgebucht. Eine Freundin gab mir dann den Tipp, dass man gleichzeitig Startplätze für die Vätternrundfahrt, den Wasalauf, ein 3km Schwimmen und einen 30km Lauf buchen kann. Das kam für mich nicht in Frage, aber die Idee des Wasalaufs fand ich spannend. 90km Langlauf im klassischen Stil, das muss doch irgendwie möglich sein.
Ich habe in meinem Freundeskreis dann die üblichen Verdächtigen gefragt und vier Freunde fanden die Idee auch super. Ja näher wir aber an den Buchungstag kamen, desto weniger wurden wir aus den unterschiedlichsten Gründen. Am Ende blieben mein bester Freund Christoph und ich übrig.
Gesagt, getan. Wir haben dann ein knappes Jahr im Voraus einfach mal bei Schulz Sport Reisen den Wasalauf für 2023 gebucht. Langlauf sollte auch mit nicht mehr ganz gesunden Gelenken und Muskeln gehen und so schwierig sieht das im Fernsehen ja auch nicht aus.
Das wird schon.
Dachten wir.
Unsere Langlauferfahrung war bisher recht begrenzt, um es sehr positiv zu formulieren. Christoph war mal eine Woche vor 40 Jahren im Langlaufurlaub, fährt aber sehr regelmäßig und gut Alpinski und ich bin seit 25 Jahren (damals mit Christoph) nicht mehr alpin gefahren und hatte noch nie Langlaufskier unter den Füßen. Der ursprüngliche Plan war, einfach mal nach Schweden zu fahren, um dann mit drei Vorbereitungstagen ins Rennen zu starten. Einige Gespräche mit Leuten, die Langlauferfahrung haben, haben uns dann aber nachdenklich gemacht und schließlich umgestimmt.
Das Ganze soll wohl doch gar nicht so leicht sein und auf jeden Fall nicht in drei Tagen so zu erlernen, dass wir über 90km ein Tempo erzielen können, dass ausreicht, um das Zeitlimit von 12 Stunden zu unterbieten. Daher haben wir unseren Plan modifiziert und guten Mutes zwei dreitägige Trainingslager geplant. Schwierig daran war, dass wir aufgrund von Christophs Arbeit und meinem Urlaub (ja, manchmal ist das Leben ungerecht) genau zwei Wochenenden zur Auswahl hatten, aber die hatten es in sich.
Das erste Kurztrainingslager hatten wir für das Wochenende vor Weihnachten geplant. Da wir aus Hamburg bzw. aus der Nähe kommen, waren für uns die Entfernung und die Schneesicherheit die zentralen Themen. Daher sind wir zu der Entscheidung gekommen, nach Oberwiesenthal im Erzgebirge zu fahren. Eine Unterkunft war relativ schnell gefunden (allerding brauchten wir eine Option zu stornieren, sollte da kein Schnee liegen), doch der Rest musste etwas spezifischer auf uns zugeschnitten sein.
Ich rief Katja Süß, die sehr freundliche Inhaberin der Skischule Oberwiesenthal, an und erklärte ihr unser Vorhaben. Wir müssen die Langlauftechnik in 3 x 2 Stunden so beigebracht bekommen, dass wir eine Chance haben, unser Ziel zu erreichen. Sie war erst sprach- und dann fassungslos über soviel Unwissen und Naivität und sagte uns, dass es vermutlich sehr schwer werden würde, aber sie uns gern unterstützt. Im Nachhinein gestand sie allerdings, dass sie, wie fast alle, auch zu den Leuten gehörte, die unser Vorhaben für unmöglich hielten. Zusätzlich hat sie noch einen Termin beim örtlichen Skiladen für uns gemacht, der ein echtes Highlight werden sollte.
Die Wetter-Macht an dem Wochenende war mit uns und so konnten wir Donnerstagabend ins verschneite Oberwiesenthal aufbrechen und dort tatsächlich unsere erste Langlauferfahrung sammeln. Da hatten wir richtiges Glück, weil weder am Wochenende davor noch danach Langlauf möglich war. Die Loipen waren nur an diesen paar Tagen auf, worüber wir uns sehr gefreut haben.
Freudig aufgeregt liefen wir am Freitagvormittag in der Skischule auf und warteten auf unsere wunderbare Trainerin Tereza, die gut instruiert war, welche schrägen Vögel mit welchem Ziel denn da zu ihr kommen würden. Aber nicht nur Tereza wusste Bescheid, sondern anscheinend die gesamte Skischule. Als wir ankamen wurde uns sofort in feinstem sächsisch entgegengeträllert: Ach ihr seid das.“ Unser Projekt hatte offensichtlich für Gesprächsstoff gesorgt.
Nach Anprobe des Leih-Equipments ging es dann auch gleich mit Tereza auf den Anfängerhügel. Und wir waren verblüfft, wie schwer das alles war. Stabilität, Gleichgewicht, Koordination, diese schmalen Bretter, keine Kanten, also im Fernsehen sah das alles ganz anders aus. Christoph hat es ein bisschen, aber natürlich weit weg von für unser Ziel ausreichend, und ich gar nicht hinbekommen. Tereza hat das Training wirklich gut aufgebaut, aber die ersten zwei Stunden waren nur ein Tropfen auf dem berühmten heißen Stein. Nach der ersten Mittagspause haben wir uns dann auf eigene Faust für weitere drei Stunden in Loipen gestürzt (im wahrsten Sinne des Wortes), die viel zu schwer für uns waren. Am Ende das Tages waren wir körperlich vollkommen fertig und auch sehr frustriert, weil wir trotz aller Anstrengungen einen Tempodurchschnitt von ca. 5 km/h geschafft haben, aber für den Wasalauf ca. 8-9 km/h brauchen und das über 10-11 Stunden. Die realistische Einschätzung der Chancen für unsere Zielerreichung am Freitagabend hat uns ganz schon frustriert und wir waren uns einig, dass Samstag ein Quantensprung in Sachen Technik erfolgen muss, damit wir überhaupt eine Chance haben.
Ein absolutes Highlight war allerdings der Materialkauf in unserer Mittagspause am ersten Tag. Die Inhaberin des Ladens wusste auch bestens über uns Bescheid und konnte sich ein Lachen bei der Formulierung unseres Ziels nicht verkneifen. Wir natürlich auch nicht. Sie stellte das Problem wie folgt dar: Um die 90km in einer ausreichenden Zeit zu schaffen, braucht ihr ziemlich schnelle Skier. Die habe ich natürlich da, aber mit denen werdet ihr technisch komplett überfordert sein, weil ihr ja aktuell nicht mal mit den Anfängerleihbrettern klarkommt. Insofern muss ich euch jetzt Material verkaufen, das ihr nicht fahren können werdet. Aber das lässt sich nicht ändern, weil ihr mit Anfängermaterial in Schweden keine Chance haben werdet.
Ich bin dann mit neuen Schuhen und Fellskiern aus dem Laden gegangen, wobei Christoph zu große Füße hatte und zu schwer war, um ihn passend auszustatten. So konnten wir dann am Nachmittag gleich sehen, dass meine neuen Skier bergab wirklich viel schneller waren und ich bergauf gar nicht vom Fleck gekommen bin, weil ich die Technik nicht beherrscht habe. Das hatte auch unseren ersten großen Unfall zur Folge, weil ich Christoph bergab mit 35 km/h hinten rein gefahren bin, weil ich bei dem Tempo unmöglich die Spur wechseln konnte. Aber eine blutige Loipe wirkt wenigstens wie ein ernsthafter Versuch.
Abends sind wir völlig geschafft eingeschlafen und haben auf den Über-Nacht-Quantensprung gehofft. Der kam leider nicht, aber es ging, besonders bei Christoph, deutlich besser. Und selbst ich machte deutliche, natürlich immer noch nicht ausreichende, Fortschritte. Tereza versuchte mich mit Worten wie „immerhin nicht hingefallen“ zu motivieren, was zwar nur teilweise gelang, aber dafür haben wir alle viel gemeinsam gelacht. Nachmittags ging es dann wieder auf eigene Faust in die Loipe und wir schafften immerhin über drei Stunden einen Schnitt von 6 km/h. Positiv betrachtet stimmte also wenigstens die Tendenz.
Sonntagfrüh stand um 8 Uhr bei -14 Grad und strahlendem Sonnenschein unser Abschlusstraining mit Tereza an. Das als Finetuning zu bezeichnen trifft den Kern der Sache nicht ganz, aber wir konnten das bisher gelernte festigen und dauerhaft anwenden. Nach diesen letzten zwei Trainingsstunden waren wir froh, glücklich und zufrieden, aber auch so kaputt, dass wir aufgrund einer empfundenen höheren Verletzungsgefahr von einem weiteren Training abgesehen haben, daher ging es ab nach Hause.
Auf der gut fünfstündigen Rückfahrt haben wir viel gefachsimpelt, wie wir unseren ersten Versuch einschätzen. Wir kamen zu der Meinung, dass es zwar alles sehr schwierig werden würde, aber es noch nicht komplett hoffnungslos ist. Und hier kommt das nächste Glücksprinzip ins Spiel. Glückspilze geben nie oder nur sehr spät auf, auch wenn die Erfolgsaussichten sehr gering sind. Und genau an diesem Punkt waren wir ja.
Zuhause angekommen beschlossen wir, dass wir noch ein weiteres Kurztrainingslager (allerdings dieses Mal ohne Trainerin) benötigen. Aber Weihnachten (wir), Urlaub (ich) und Arbeit (Christoph) standen uns bei der Planung ein bisschen im Weg. Das einzige verfügbare Wochenende war Mitte Februar, also genau zwei Wochen vor unsere Abreise nach Schweden. Da brauchten wir wohl wieder viel Glück mit dem Wetter und das sollten wir wieder haben.
Gespannt haben wir die Wochen und Tage vorher die Schneeverhältnisse und die Wettervorhersagen für den Oberharz im Auge behalten und entschlossen uns dann am Donnerstagabend nach St. Andreasberg zu fahren. Im Vergleich nur drei Stunden Fahrt und wiederum eine kleine Ferienwohnung haben diesen Kurztrip vergleichsweise entspannt gemacht.
Gespannt waren wir auf unsere Fortschritte. Angeblich soll man Sport ja in den Pausen nach dem eigentlichen Sport lernen, was bei uns ja auch passieren musste, sollten wir unsere Restchance nutzen wollen. Freitagmorgen bei vernünftigem Wetter und relativ guten Loipen wollten wir gleich in die Vollen gehen. Wir wollten versuchen, 40 km zu schaffen, was ja immerhin fast die Hälfte des Wasalaufs wäre. Und tatsächlich haben wir mit viel Einsatz und Kampfgeist 42 km mit 867 Höhenmetern in knapp fünf Stunden geschafft. Das würde vom Tempo und den Steigungen vermutlich für den Wasalauf reichen, nur, dass wir dieses Tempo mehr als doppelt so lange durchhalten müssten, was wir als kleinen Hinweis an unsere Kondition aufgefasst haben.
Das haben wir bei allem Glück hin oder her tatsächlich auch sehr ernst genommen. Ich habe z.B. die fünf Wochen vor dem Lauf (mit der Ausnahme des Geburtstags meiner Frau) keinen Alkohol mehr getrunken und täglich 2-3 Stunden an allen möglichen Geräten trainiert. Besonderes Glück hatte ich hierbei, dass meine Frau unserer Nachbarin von unserem Vorhaben erzählt hat und sie mir dann nach dem Sport in der Sauna erzählte, dass sie ein Langlauf-Fitnessgerät Zuhause herumstehen hat, dass ich mir gern leihen könne. Gesagt, getan. Der Februar waren dieses Gerät und ich sehr regelmäßig gemeinsam im Einsatz und ich habe mir nebenbei alte Wasalaufaufzeichnungen auf YouTube angeguckt. Während meiner Vorbereitung habe ich irgendwo gelesen „Jeder Tropfen Schweiß im Training spart einen Tropfen Blut im Wettkampf.“. Das fand ich motivierend, wenn es mal besonders zäh wurde.
Als Glückcoach freute ich mich natürlich über diesen Zufall, denn er belegt, dass Glückspilze ihr Glücksnetzwerk pflegen und nutzen. Das hat schon unzählige Male funktioniert, aber dieses Mal war es schon speziell und besonders hilfreich.
Am Samstag haben wir dann noch 30km geschafft und waren noch etwas schneller und den Sonntag haben wir mit sportlichen 10km bei nur noch mäßigen Verhältnissen abgerundet und sind guten Mutes nach Hause gefahren. Nach diesem Wochenende waren wir sehr zuversichtlich, dass wir tatsächlich eine Chance haben könnten, unser großes Ziel zu erreichen.
Aber dafür musste noch einiges klappen, auf das wir nur wenig oder keinen Einfluss haben würden.
Als erstes mussten wir natürlich gesund bleiben. Da die Coronazahlen wieder in die Höhe gingen und ich einen ganz direkten Risikokontakt hatte, war ich froh, dass das gut geklappt hat, allerdings habe ich mich die zehn Tage vorher auch freiwillig weites gehend isoliert. Weiterhin mussten wir auf gutes Wetter in Schweden hoffen, dann bei -20 Grad wäre uns das gesundheitliche Risiko zu groß gewesen und bei +10 Grad wäre die Spur so langsam gewesen, dass wir keine Chance gehabt hätten.
Am 1. März war es dann endlich soweit. Unser großes Abenteuer sollte in seine finale Phase gehen. Das Training war abgeschlossen, die Koffer waren gepackt und wir waren vorfreudig gespannt.
Unsere kleine Busreisegruppe ist in Dresden gestartet. Nach einem Halt in Berlin sind wir beide dann in Rostock am Fährhafen als letzte zugestiegen. Nach ein bisschen Warterei hatten wir dann eine sechsstündige Fährfahrt vor uns. Hier brauchte ich dann wieder etwas Glück, denn mir wird auf Schiffen sehr schnell und heftig übel. Der Wettergott meinte es ein weiteres Mal gut mit uns und wir sind ganz entspannt über eine extrem ruhige Ostsee nach Trelleborg geschippert. Von da aus fuhren wir dann noch erfrischende neun Stunden mit dem Bus bis zu unserer Unterkunft in Rättvik. Morgens um 4:30 Uhr waren wir dann endlich am Ziel. Viel Zeit, um über die lange Anreise nachzudenken hatten wir allerdings nicht, denn um 10 Uhr ging der Bus zur ersten Trainingsfahrt los.
Wir konnten einen Teil der Wasalaufstrecke testen und sind so ganz entspannt 20 km gefahren. Wir hatten uns das alles etwas flacher erhofft, waren aber guten Mutes, dieses Streckenprofil bewältigen zu können. Am nächsten Tag standen für uns dann weitere 20 km auf dem Programm. Bei dieser Ausfahrt habe ich mich dann als völliger Laie geoutet, denn beim Anschnallen meiner Skier ist mir aufgefallen, dass ich meine Skischuhe in unserer Unterkunft vergessen hatte, was bei uns allen zu großem Gelächter geführt hat. So was passiert natürlich keinem ernsthaften Skifahrer, aber das sind wir ja auch nicht. Glücklicherweise war direkt an der Loipe ein Skiverleih und ich konnte mir Ersatzschuhe besorgen.
Nach der Trainingsfahrt ging es dann für alle zum eigens mitgereisten Wachsmeister. Als besonderer Service kommt bei Schulz Sport Reisen immer ein Servicetechniker mit, der vor dem Wettkampf alle Skier auf Weltcupniveau bringt. Wir stellten uns alle in einer Reihe auf und jeder äußerte seine Wünsche. Alle vor uns sagten, dass sie das volle Programm für 80 € haben wollten und die Skier so schnell gemacht werden sollen, wie möglich. Als ich an der Reihe war, fragte ich, ob wir den Unterschied zwischen der 50 € und der 80 € Behandlung denn überhaupt spüren würden. Er fragte dann, in welchem Startblock wir stehen würden. Ich sagte in 10 (von 10) und er antwortet spontan: „dann ist es bei euch egal, nehmt das günstigere“. Immerhin ehrlich. Was haben wir darüber und über uns gelacht.
Den letzten Tag vor dem Rennen haben wir uns ausgeruht. Wir sind ein bisschen spazieren gegangen und haben viel Fußball geguckt. Außerdem wollten wir viel essen und früh ins Bett gehen, was bei unserer spürbar steigenden Aufregung natürlich nicht ganz so einfach war. Aber nur noch einmal schlafen, wenn auch kurz, dann war es soweit. Der große Tag war da.
Um 1:45 Uhr klingelte der Wecker. Da freut sich der Biorhythmus. Pünktlich um 2:30 Uhr startete unser Bus zur knapp zweistündigen Fahrt zum Startort Sälen. Kurz vor der Ankunft um 4:30 Uhr (an Schlaf war vor Aufregung natürlich nicht zu denken) stellten wir dann fest, dass wir mit dieser frühen Anreise keinesfalls alleine waren. Massen waren unterwegs, um sich im Startblock 10 ab 5:00 Uhr und in allen anderen Startblöcken ab 5:30 Uhr die besten Startplätze zu sichern. Als wir uns dann um 4:40 Uhr vor dem Startblock 10 anstellten, waren wir ca. an Position 100, was aber für Reihe 1 und 2 reichen sollte. Danach konnten wir uns dann schön noch zwei Stunden im Bus aufwärmen. Das Wetter schien mitzuspielen und wir hatten ca. -6 Grad, nicht zu warm, nicht zu kalt, daran sollte es nicht scheitern. Um kurz nach 7:00 Uhr verließen wir dann denn Bus, um unsere Kleidung in die großen DHL-Trucks zu schmeißen, noch ein letztes Mal eines der unzähligen Dixi-Klos zu nutzen und dann schließlich zu unseren Skiern zu gehen.
Pünktlich um kurz vor 8:00 Uhr begann dann leichter Schneefall und Punkt 8:00 Uhr ertönte der Startschuss. Bis wir aus Block 10 allerdings die Startlinie passierten, vergingen noch vier Minuten, aber das war schneller als gedacht. Der Startbereich beim Wasalauf ist ca. 10 Fußballfelder groß und die Zeit beginnt für alle um Punkt 8:00 Uhr. Weiterhin müssen auf dem Weg sieben Checkpoints in vorgegebenen Zeiten erreicht werden, was als Anfänger aus Startblock 10 nicht so einfach zu sein schien.
Die Zeit des Grübelns und Rechnens war nun aber definitiv vorbei. Wir schoben uns mit der Karawane Richtung Ziel in Mora. Anfangs aber nur gaaanz langsam, denn nach ca. 500m am ersten und steilsten Berg verengten sich die Loipen von 52 Spuren auf 12 und später auf 8. Ein Szenario, dass an den Elbtunnel zu Rushhour erinnerte. Darauf waren wir vorbereitet und passten auf, dass unser Material heil blieb, was uns auch gelang. So haben wir in der ersten Stunde gigantische 2,6 km zurückgelegt. Oben am ersten Berg angekommen ging das flüssige Laufen (sofern man das bei unserer Technik überhaupt sagen kann) aber langsam los (und das kann man so sagen). Nach genau zwei Stunden erreichten wir die erste Zwischenzeit und hatten so genau 30 Minuten Vorsprung vor dem Besenwagen. So hatten wir das errechnet und erhofft. Wir waren guter Dinge, dass es so weitergehen könnte.
Bei der zweiten Zwischenzeit bei Kilometer 24 hatten wir dann insgesamt 45 Minuten Vorsprung vor dem Cut. Das gab uns weiteren Auftrieb und beruhigte uns, weil wir uns so in Ruhe verpflegen konnten, ohne gleich das Rennaus im Nacken zu haben. Denn so nett auch alle Schweden zu uns waren, so wenig Spaß und Toleranz verstehen sie bei der Einhaltung der Zwischenzeiten.
Alles lief also nach Plan. Na ja, fast alles. Leider war der Schnee sehr trocken und pulverig, so dass für die Läufer im hinteren Teil des Feldes, wozu wir ja eindeutig gehörten, die Loipen schon sehr zerfahren waren. Bergauf gab es dann nur noch sulzigen Tiefschnee, denn man nur hochstapfen konnte. Bergab gab es häufig keine Loipen mehr, wodurch der pulverige Schnee durch die Massen nach außen gedrückt wurde. Das hatte dann in der Mitte eisige Fahrrinnen zur Folge, die für mich teilweise schwer zu bewältigen waren. Aber wie sagte einer meiner Sturzpartner so schön: „It´s just snow.“, also alles halb so wild. Ich konnte meine Stürze auf knapp einstellig halten und Christoph hat die 90km tatsächlich sturzfrei geschafft. Eine großartige Leistung. Dadurch ist er aber auch nicht so intensiv mit den Einheimischen ins Gespräch gekommen wie ich. Ist doch auch was. Glückpilze sehen nämlich auch im Negativen immer etwas Positives.
Und wer nochmal lachen (und mich sehen will) kann sich ja mal auf YouTube folgendes Video anschauen. Ich komme bei 3:14min ins Bild…
https://www.youtube.com/watch?v=Wh0tzE6B8t0&t=208s
Nach der dritten Zwischenzeit hatten wir 50 Minuten Vorsprung auf den Besenwagen und bei diesem Vorsprung pendelten wir uns ein. Das war so viel, dass wir es wirklich schaffen konnten. Allerdings merkten wir und besonders ich auch den Kräfteverschleiß. Wie konnte es sein, dass das bei vielen unserer Mitläufer so einfach und entspannt aussah und wir für unseren Vortrieb echt Gas geben mussten? Leider bestätigte sich, dass die Technik eben doch nicht so einfach war und man viele Jahre Langlauferfahrung eben doch nicht nur durch Kondition wettmachen kann. Für mich war es ja erst der neunte Tag auf den dünnen Skiern. Aber egal, der Zeitpunkt des Grübelns war längst überschritten. Wenn ich während des Rennens mal negative Gedanken hatte, habe ich mir diese schlicht und ergreifend verboten. Ich hatte all das Training nicht in Kauf genommen, um mir dann von meinem Verstand diktieren zu lassen, was für eine schwachsinnige Idee das war. Das wusste ich selber, das war ja genau der Reiz. Insofern redete ich mir ein, dass hier und heute genau der richtige Tag ist, um dieses Abenteuer zu einem Erfolg zu machen.
Und objektiv betrachtet lief es ja auch super. Wir lagen gut in der Zeit. Wir fuhren beide in etwa gleich schnell (Christoph musste immer mal bei den Verpflegungsstellen ein bisschen auf mich warten) und das Wetter spielt auch mit.
Insofern immer heiter weiter, auch wenn die Kraft im Verlauf natürlich nachließ. Bei aller Anstrengung hatten wir leider fast keinen Blick für die traumhafte Winterlandschaft. Viel mehr begeisterten uns die ca. 3.000 ehrenamtlichen Helfer entlang der Strecke und die Freundlichkeit der Zuschauer. Selbst wir am Ende des Feldes wurden noch angefeuert. Das war echt ganz klasse. Und so kämpften wir uns von Zwischenzeit zu Zwischenzeit, von Verpflegung zu Verpflegung. 24 Kilometer vor dem Ziel gab es dann noch ein Highlight. Unser Reiseanbieter hatte einen eigenen Verpflegungsstand am Streckenrand aufgebaut. Das gab es vorgewärmte Cola, Orangenstückchen, Schokolade und was das Läuferherz sonst noch begehrt. War das schön. Gleichzeitig war das für uns ein Signal, dass wir die letzten 24 Kilometer ja wohl auch noch schaffen würden, sofern wir denn gesund bleiben und das Material hält.
9 km vor dem Zeil war dann der letzte Stop und auch das letzte Bisschen Helligkeit. Diese Zwischenzeit muss man um spätestens 19 Uhr erreicht haben und es war erst kurz vor 18 Uhr. Wir hatten den Besenwagen besiegt und ein Hochgefühl machte sich im ganzen Körper breit. Wir waren kurz dem Erreichen unseres Ziels. Unter Flutlicht fuhren wir die letzten Kilometer, wobei sich der letzte Rest dann doch noch ganz schön zog. Um 18.54 Uhr bogen wir schließlich gemeinsam auf die Zielgerade ein. Was für ein Erlebnis, was für ein Gefühl. Wir waren glücklich und stolz, es geschafft zu haben. Wir oft haben wir gehofft, wie oft haben wir gezweifelt und wie oft mussten wir in der Vorbereitung unseren inneren Schweinhund besiegen, der uns einreden wollte, dass es einfach nicht klappen kann.
Um 18:55 Uhr sind wir dann tatsächlich im Ziel angekommen und sind uns in die Arme gefallen. Was für ein Glücksgefühl. Wie toll fühlte es sich an, etwas zu schaffen, was eigentlich nicht zu schaffen ist. Etwas zu erreichen, für das wir tatsächlich ziemlich viel getan haben und dann dafür die Belohnung zu bekommen. Einfach nur großartig.
Erschöpft im Ziel angekommen gab es aber noch einige Sachen zu tun, bevor wir uns auf die schönen Dinge im Leben konzentrieren konnten. Wir mussten erst unsere Skier abgeben, dann zu einem Bus gehen, der uns zu unseren abgegebenen Klamotten gebracht hat. Da konnten wir uns umziehen bzw. duschen. Dann wieder zum Bus und zurück zum Skistadion. Dann die Skier abholen und zu unserem Bus wandern. Auf dem Weg dahin habe ich dann noch unsere „Diplome“ abgeholt. Ich wusste, dass man noch eine Übersicht mit den Zwischenzeiten für 50 Kronen kaufen konnte, also hatte ich 100 Kronen extra dafür mitgenommen. Leider wurde vor Ort kein Bargeld akzeptiert. Weil ich aber nur Bargeld dabei hatte, flehte ich, ob die Chefin da nichts machen könne. Das wurde verneint. Bis die Chefin persönlich vorbeikam, mir die 100 Kronen abnahm und dann mit ihrer persönlichen Karte für mich zahlte. Was für ein Glück. Ich stelle mir diese Situation in einer deutschen Behörde, z.B. in einem Ortsamt oder so, vor und bin aus dem Lachen kaum noch herausgekommen.
Zurück bei unserem Bus war die Stimmung bei allen gut. Alle hatten es pünktlich geschafft, wobei das natürlich auch alles Langläufer waren. Leider hat ein Teilnehmer unseren Bus nicht gefunden, so dass wir weitere 45 Minuten erfolglos auf ihn warten mussten, aber das konnte zumindest unsere Laune nicht trüben.
Nach 30 Minuten waren wir in unserer Unterkunft und haben noch kurz einen Happen gegessen und unser Bier bzw. unseren Wein genossen. Allerdings waren wir so erschöpft, dass wir nicht mal richtig feiern konnten, was aber nicht so schlimm war. Am nächsten morgen sind wir dann mit dem Bus, der Fähre und dem Auto nach Hause aufgebrochen, wo wir am übernächsten Morgen immer noch freudstrahlend angekommen sind.
Und während wir sofort nach dem Rennen gesagt haben, dass wir so etwas nie wieder machen, bin zumindest ich soweit, dass ich dieses Abenteuer gerne noch einmal wiederholen möchte. Wann auch immer. Denn glücklich über diese tollen Erfahrungen bin ich immer noch.
Zu guter Letzt möchte ich mich bei einigen Menschen bedanken. Zuerst natürlich bei meiner Frau Julia, die in meiner Vorbereitung einige Einschränkungen hinnehmen musste, da ich unserem „Projekt“ doch vieles untergeordnet habe. Dann natürlich Katja und Tereza von der Skischule Oberwiesenthal, die es möglich gemacht haben, dass aus einer verrückten Idee von zwei Flachländern ein Erfolg wurde. Auch das Team um Tino Lietsch von Schulz Sport Reisen hat unseren Erfolg erst ermöglicht. Ohne die perfekte Planung und den Bus in der Nähe des Startes wäre das alles nicht möglich gewesen. Und natürlich möchte ich mich auch bei meinem Freund Christoph bedanken, denn alleine wären die Vorbereitung und das Rennen viel härtere Aufgaben gewesen, denn so konnten wir uns alle Zweifel und Sorgen, aber auch alle positiven Gedanken, teilen.
Ich bin glücklich, stolz und überaus dankbar, dass wir gemeinsam aus einer irren Idee eine großartige Erfahrung gemacht haben.
Mal sehen, was uns als Nächstes einfällt.